
Hast du dich schon mal gefragt, wie es eigentlich um deine eigene Impulskontrolle steht? Nicht die deines Hundes, sondern deine ganz persönliche Fähigkeit, einen inneren Drang zu bemerken und
dich bewusst für oder gegen eine Handlung zu entscheiden?
Im Hundetraining sprechen wir oft darüber, dass Hunde lernen sollen, sich zurückzunehmen. Nicht sofort dem Reiz nachzugehen, nicht gleich an der Leine loszupoltern, etwas zu verteidigen oder zu
jagen. Dabei vergessen wir schnell, dass auch wir Menschen längst nicht immer so souverän reagieren, wie wir es gern von unseren Hunden erwarten würden.
Wir denken meist an die großen, offensichtlichen Situationen: Wenn wir der Kollegin nicht patzig antworten, obwohl sie uns gerade richtig nervt. Wenn wir nicht gleich losbrüllen wenn uns jemand
die Vorfahrt nimmt. Oder wenn wir beim Einkaufen nicht genervt zurückkeifen, obwohl uns jemand anrempelt. Aber Impulskontrolle zeigt sich auch in den leisen, fast unsichtbaren Momenten: Wenn wir
einen Menschen sehen und nicht sofort in Schubladen denken. Wenn wir uns selbst beim inneren Augenrollen erwischen und innehalten. Wenn wir uns entscheiden, nicht gleich zu urteilen, sondern
neugierig zu bleiben. Diese kleinen Entscheidungen sieht niemand. Aber sie verändern alles!
In diesem Artikel geht es deshalb nicht darum, wie du deinem Hund beibringst, ruhig zu bleiben. Sondern darum, wie du selbst Impulskontrolle entwickelst, stärkst und verstehst, damit du nicht nur
gelassener durchs Leben gehst, sondern auch ein authentisches, verlässliches Gegenüber für deinen Hund wirst.
Was genau ist Impulskontrolle eigentlich?
Impulskontrolle beschreibt die Fähigkeit, einen spontanen Impuls, also das schnelle „Ich will jetzt“ bewusst zu regulieren. Es geht nicht darum, Gefühle zu unterdrücken oder alles brav
herunterzuschlucken. Sondern darum, einen Moment innezuhalten, bevor man handelt. Sie ist Teil unserer sogenannten exekutiven Funktionen, also jener Prozesse im Gehirn, die uns helfen, überlegt
zu handeln, Ziele zu verfolgen und uns an Regeln zu halten.
Ein bekanntes Beispiel ist das Marshmallow-Experiment mit Kindern: Wer es schafft, ein verlockendes Marshmallow nicht sofort zu essen, bekommt später ein zweites. Studien zeigten, dass genau
diese Fähigkeit, Impulse aufschieben zu können, oft mit langfristigem Erfolg im Leben zusammenhängt: mit besseren Beziehungen, höherer Bildung, stabilerer Gesundheit.
Aber: Impulskontrolle ist kein festgelegtes Talent. Sie ist trainierbar. Und sie zeigt sich oft im Kontext. An einem guten Tag fällt es uns leicht, bei uns zu bleiben. An einem schlechten reicht
manchmal ein schiefer Blick und wir explodieren innerlich (oder auch mal äußerlich).
Was passiert dabei im Gehirn?
Unsere Impulskontrolle entsteht im präfrontalen Cortex, dem vorderen Teil unseres Gehirns, der für bewusstes Denken, Abwägen und Entscheiden zuständig ist. Er arbeitet eng mit dem limbischen
System zusammen, dort sitzen Emotionen, Triebe, Erinnerungen. Wenn wir z. B. Wut spüren oder uns etwas besonders reizt, funkt die Amygdala Alarm. Der präfrontale Cortex entscheidet dann: Handeln
wir sofort oder lohnt es sich, kurz zu warten?
In Stresssituationen, bei Schlafmangel oder Überforderung wird genau dieser vordere Kontrollbereich geschwächt. Dann übernehmen alte Muster, Emotionen oder automatische Reaktionen die Führung und
es wird deutlich schwerer, sich bewusst zu steuern. Das erklärt, warum wir an manchen Tagen souverän reagieren und an anderen wegen Kleinigkeiten in die Luft gehen. Es ist keine
Charakterschwäche. Es ist Biologie. Und es bedeutet umgekehrt auch: Wer gut für sich sorgt, regelmäßig Pausen macht, genug schläft und sich selbst ernst nimmt, stärkt ganz automatisch auch seine
Impulskontrolle.
Warum fällt sie uns manchmal so schwer?
Weil unser Gehirn auf Effizienz und Geschwindigkeit ausgelegt ist. Überleben bedeutete früher: schnell reagieren. Kampf oder Flucht. Schwarz oder Weiß. Unser Gehirn liebt klare, schnelle
Entscheidungen. Impulskontrolle hingegen braucht Zeit, Energie, Aufmerksamkeit. Sie ist anstrengend, besonders in einer Welt voller Reize: Push-Nachrichten, soziale Medien, Dauerverfügbarkeit von
Essen, Unterhaltung, Meinung.
Wir sind rund um die Uhr umgeben von Dingen, die unsere Impulse triggern. Kein Wunder, dass wir uns manchmal überwältigt fühlen. Und genau deshalb ist es so wichtig, sich selbst nicht zu
verurteilen, wenn es mal nicht klappt. Impulskontrolle ist kein Zustand, sondern ein Prozess mit Rückschritten, Lerneffekten und wachsender Erfahrung.
Und wie können wir sie trainieren? Für uns selbst und für unsere Hunde?
Der erste Schritt:
Sich selbst beobachten. Liebevoll, ehrlich, ohne Bewertung.
Welche Situationen bringen dich aus dem Gleichgewicht? Wann reagierst du impulsiv? Und was hilft dir, wieder bei dir anzukommen?
Es hilft, ganz bewusst kleine Stopps im Alltag einzubauen:
– Eine tiefe bewusste Ein- und Ausatmung vor dem nächsten Satz
– Eine kurze Pause, bevor du auf eine Nachricht reagierst
– Ein kleiner innerer Check: Was brauche ich gerade wirklich?
Mit der Zeit verändert sich durch diese bewussten Mikroentscheidungen nicht nur unser Verhalten, sondern auch unser Gehirn. Neue Verbindungen entstehen, alte Muster werden schwächer. Und das
Beste: All das wirkt sich auch auf unseren Umgang mit Hunden aus. Denn wer sich selbst gut führen kann, führt auch andere mit mehr Klarheit, Ruhe und Feingefühl.
Hunde spüren unsere Stimmung, unser Timing, unsere Reaktionstiefe. Sie spiegeln uns, nicht perfekt, aber ehrlich. Und sie profitieren enorm von Menschen, die in sich ruhen und Impulse nicht
einfach „durchlassen“, sondern gestalten. Deshalb ist es so hilfreich, dass wir nicht nur über ihre Impulskontrolle sprechen, sondern über unsere eigene.
Impulskontrolle ist kein Zeichen von Disziplin oder Strenge, sondern Ausdruck von Achtsamkeit, Selbstkenntnis und echter innerer Stärke. Wer seine eigenen Impulse besser versteht, geht milder mit
sich selbst um und gerechter mit anderen. Für uns als Hundemenschen heißt das: Je klarer und gelassener wir uns selbst führen können, desto verlässlicher werden wir für die Hunde an unserer
Seite.
Und vielleicht beginnt genau hier ein neuer Blick auf das Thema Training: Nicht nur als Erziehung für den Hund. Sondern als Entwicklung für uns selbst ❣
Bianca Oelscher - Landhun.de